(Herrsching) Klein, aber oho – dieser Ausspruch trifft wohl auf kaum ein Dekanat so gut zu wie auf das von Starnberg. Seit 2020 leitet der gebürtige Kemptener Simon Rapp zwischen Ammersee, Pilsensee, Starnberger See und Wörthsee die Geschicke der Kirche. Während manche die Region nur vom Andechser Klosterbier kennen, versucht er mit Mut und Offenheit Weichen für die Zukunft zu stellen. Krimis und Allgäuer Kässpatzen dürfen dabei nicht fehlen.
Als im Jahr 2010 bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen starben und hunderte teils schwer verletzt wurden, war Simon Rapp, der seit 2015 die Pfarreiengemeinschaft Ammersee-Ost leitet, als Seelsorger gefragt. Damals lebte er als Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Ruhrstadt. Auf Anfrage von Jugendlichen, von denen selbst einige das Unglück nur knapp überlebt hatten, bereitete er einen Gottesdienst vor, und half als Seelsorger wo er konnte.
In diese Situation wäre er wohl nicht gekommen, wenn er seinem ursprünglichen Ausbildungsberuf des Technischen Zeichners treu geblieben wäre und nicht anschließend das Abitur nachgeholt und 1993 in Augsburg begonnen hätte, Theologie zu studieren. Genüsslich merkt er an, dass er von seinem ersten Beruf noch profitiert, weil er Baupläne lesen kann.
Ein Abstecher in die USA
Während es an dem Tag des Gesprächs in Herrsching so sehr regnet, dass man vom einen Ufer des Ammersees das andere schon nicht mehr sehen kann, erzählt der 55-jährige Dekan mit Brille und Dutt von seinen Auslandssemestern in Dayton, Ohio. Lachend gibt er zu, dass er sich wegen seiner miserablen Englischkenntnisse doch Sorgen gemacht habe. Sein letzter Englischlehrer versprach ihm: „Mach dir keine Sorgen, die sprechen dort genau so schlecht Englisch wie du.“
Gerne erinnert er sich auch an die Unterschiede kirchlicherseits. Ein Priester habe sich sehr über Rapps Frage gewundert, warum die Kelchkommunion immer gespendet werde. Ob wir in Deutschland noch nichts vom Konzil gehört hätten, wollte er daraufhin wissen. Und tatsächlich schaffte Rapp es, tief in die dortige Lebens- und Gedankenwelt einzutauchen. Die Zeit habe aber nicht dazu angeregt, dort wohnen zu bleiben, sagt er. Im Mai 2000 war es dann schließlich so weit: Simon Rapp wurde im Augsburger Dom durch den damaligen Bischof Viktor Josef Dammertz zum Priester geweiht.
Das Dekanat Starnberg in Kürze:
- Umfang: 6 Pfarreiengemeinschaften mit 19 Pfarreien, eine Einzelpfarrei
- Prodekan: Andreas Jall (PG Starnberg)
- Bevölkerung: 28.000 Katholiken
- Wallfahrtsziele: St. Rasso in Grafrath, Wallfahrtskirche Andechs, Europakapelle Breitbrunn
Leben in Duisburg, Büro in Düsseldorf, arbeiten im ICE (BDKJ-Zeit)
Nach seiner Weihe im Jahr 2000 wurde er Kaplan in Augsburg, bald auch geistlicher Begleiter der Katholischen jungen Gemeinde (KjG). 2004 wechselte er zum BDKJ und wurde dort Diözesanpräses – eine Veränderung, die sein Leben viele Jahre prägen sollte. 2009 habe dann die Bundesebene nach ihm gerufen – ihm, dem „Allgäuer aus einer Kleinstadt“. Das Amt kam ihm viel zu schwierig vor, und doch hätten ihm viele Personen dazu geraten. Also erhielt Rapp ein Büro in Düsseldorf und eine Wohnung in Duisburg. Seine Aufgabe war es fortan, die katholischen Jugendverbände in Kirche, Staat und Gesellschaft zu vertreten. Ständig unterwegs zu sein, sein Leben buchstäblich in „vollen Zügen“ zu genießen, habe ihm gut gefallen.
Zwischen Krimi, Fitnessstudio und Zug
Und auch wenn der Starnberger Dekan nicht aussieht wie ein Muskelprotz: Regelmäßig geht er in aller Frühe zum Training und „powert sich aus“. Eine weitere Leidenschaft von ihm ist das Kochen. Als das ZDF für einen Fernsehgottesdienst am Ammersee vorfuhr, bereitete er selbstverständlich für die vierzigköpfige Crew Allgäuer Kässpatzen zu. Im Vergleich zu den 80 Portionen auf einem Zeltlager sei das allerdings ein Klacks gewesen.
Falls dann abends noch Zeit bleibt, greift der Pfarrer zum Krimi. Obwohl er schon viele aussortiert hat, türmen sich die Bücher in seiner modern eingerichteten und mit Kunstobjekten – vor allem von seinem verstorbenen Onkel, dem Kemptner Bildhauer Hans Wachter - versehenen Wohnung im Obergeschoss. Insgesamt herrscht dort aber ein nüchtern-eleganter Stil vor.
An seinen freien Tagen nutzt er die Zeit auch gerne für ausgiebige Zugfahrten: „Berlin ist ein Tagesausflug von hier“, behauptet er. Sich selbst bezeichnet er außerdem als einen „Nachrichtenjunkie“. Bei jeder Gelegenheit lese er Zeitung, höre er Radio oder schaue Fernsehnachrichten.
Dekan werden? – Keine Lust!
2020 war der langjährige Dekan auf eine andere Pfarrstelle gewechselt. Bedingt durch die Sedisvakanz hätten aber keine neuen Dekane ernannt werden können, berichtet Rapp. Daraufhin habe er als amtierender Prodekan das Dekanat schon monatelang kommissarisch geleitet. Diese Zeit nutzte er aber auch, um seinen Mitbrüdern klar zu machen, dass er nicht Dekan werden wolle. Nach 15 Jahren voller „Christbaumjobs“ habe er sich mal nur auf das eine Aufgabenfeld des leitenden Pfarrers gefreut. Weitere „Anhängsel“ hätte es seiner Meinung nach nicht gebraucht – aber es sollte anders kommen. Seit nunmehr fünf Jahren steht er als „lebendige Zwischenebene“ zur Verfügung und vermittelt zwischen Basis und Bistumsleitung. Er gibt im Gespräch aber auch zu, dass er sich in erster Linie als Pfarrer der PG Ammersee-Ost sieht.
Offenheit und Mut in der Kirche
Am Ende kommt er noch auf seinen Primizspruch zu sprechen. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15) Dieses Leitwort hat er sich zu Herzen genommen, bei seinem Primizgottesdienst hielt er sogar selbst die Predigt. „Ich betrachte es als ein Grundübel unserer Zeit, dass keiner mehr Verantwortung übernimmt, sondern wir uns immer hinter jemand anderem verstecken.“ Selbst Maria 2.0 fragte bei ihm sicherheitshalber nach, ob sie in seiner Kirche protestieren dürften – für ihn erstaunlich. Tatsächlich begrüßt er es, wenn Gemeinden eine größere Selbstständigkeit aufbauen, und weniger vom Wirken und der Anwesenheit des Pfarrers abhängig sind. Sein Wunsch ist daher, dass sich Gläubige und auch Verantwortliche wieder mehr trauen. Neugierigkeit und Offenheit seien wichtig. Sein Bauplan für die Zukunft der Kirche steht also schon einmal: Alle sollen mutig und innovativ von der Hoffnung künden, die sie erfüllt.
Text und Fotos: Leander Stork
März 2025
Hintergrund:
Nach der coronabedingten Unterbrechung des Formates erscheinen ab sofort wieder regelmäßig neue Portraits unserer Dekane. Die anderen Texte aus dieser Reihe finden Sie ebenfalls auf unserer Homepage.